17.07.2021
Tübinger Gruppe von „Ende Gelände“ blockiert Zufahrt zu Dotternhausener Holcim-Zementwerk
Von Daniel Seeburger
Eine Gruppe von rund 20 Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe Ende Gelände haben am Samstagmorgen die Zufahrt zum Zementproduzenten Holcim in Dotternhausen blockiert. Zur anschließenden Kundgebung des Aktionsbündnisses Zement Zollernalb-Tübingen-Reutlingen kamen rund 150 Demonstranten – viel mehr als erwartet – auf den Besucherparkplatz des Unternehmens.
Die Aktivistinnen und Aktivisten der Tübinger Gruppe von „Ende Gelände“ haben ihre Aktion am Samstag gegen 9 Uhr begonnen und die Haupteinfahrt des Dotternhausener Holcim-Zementwerks blockiert. Es gab allerdings keinen Siloverkehr, die Waage war unbesetzt.
Polizei kurz vor Ort
Die Polizei machte mit einem Streifenwagen einen kurzen Abstecher nach Dotternhausen, rückte aber nach wenigen Minuten wieder ab, nachdem klar war, dass die Aktion friedlich verläuft. Ein privater Ordnungsdienst war vor Ort, griff aber nicht ein.
„Unser Ziel ist es, die Zementproduktion als Klimakiller zu entlarven“, erklärte Marlene Groß, Sprecherin von Ende Gelände Tübingen, im Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER. Ein weiteres Ziel sei es, den Kalksteinabbau auf dem Plettenberg zu stoppen.
Zement und Klimakatastrophe
Groß wies darauf hin, dass acht Prozent der gesamten globalen CO2-Emmissionen von der Zementindustrie verursacht würden. Dadurch werde die Klimakatastrophe weiter angeheizt.
Ein weiterer Kritikpunkt sei die Verbrennung von Sondermüll im Dotternhausener Werk ohne ausreichende Filteranlagen, führte Marlene Groß aus.
Beate Zöld, eine der Organisatorin der Kundgebung um 12 Uhr vor dem Holcim-Zementwerk, und Mitinitiatorin des „Aktionsbündnisses Zement Zollernalb-Tübingen-Reutlingen“, war vor Ort, wies aber darauf hin, dass ihre Organisation nicht Mitveranstalterin der Blockade sei. „Wir stehen an der Seite dieses Bündnisses“, so Marlene Groß.
Umdenken beim Bauen
Die Sprecherin von Ende Gelände forderte ein Umdenken beim Bauen und in der Gesellschaft. Man müsse Zement als Baustoff nachhaltig begrenzen. Möglichkeiten seien ein Umschwenken auf Holz, die Nutzung von Leerständen oder der Einsatz von recyceltem Beton.
Kurz vor Kundgebungsbeginn: Blockade wird beendet
Kurz vor Beginn der Kundgebung auf dem Besucherparkplatz von Holcim beendete Ende Gelände Tübingen die Blockade. Auf Twitter ist zu lesen: „Selbstbestimmt haben wir die Blockade beendet und schließen uns der Kundgebung des Aktionsbündnisses Zement an.“
Ihre Aktion habe sich nicht gegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens gerichtet, führte Sprecherin Marlene Groß in einer Rede auf der Kundgebung aus.
Die Blockade sei beendet worden, nachdem die Polizei, die zwischenzeitlich im Rahmen der Kundgebung mit einem größeren Aufgebot vor Ort war, Anzeigen wegen Hausfriedensbruch angedroht hätte. „Die Polizei schützt einen Großkonzern“, so Marlene Groß, „Klima-Aktivismus darf kein Verbrechen sein.“
Rund 150 Teilnehmer bei der Kundgebung
Die anschließende Kundgebung auf dem Besucherparkplatz des Zementproduzenten, zu der das Aktionsbündnis Zement Zollernalb-Tübingen-Reutlingen aufgerufen hatte, war besser besucht als erwartet. Nachdem die Veranstalter, darunter auch Beate Zöld aus Dotternhausen, beim Anmelden zuerst von 30 Teilnehmern ausging und Ende der vergangenen Woche auf 60 aufstockte, war sie angesichts der rund 150 Teilnehmer verblüfft. „Das ist ja Wahnsinn!“, erklärte sie.
Gekommen waren neben zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern aus Dotternhausen und den umliegenden Gemeinden Menschen aus dem ganzen Zollernalbkreis und darüber hinaus.
Klima- und Gesundheitsschutz
Dem Aktionsbündnis ging es um Klima- und Gesundheitsschutz. Und da kam weder der Zementproduzent noch die Behörden und die Politik gut weg.
„Uns reicht‘s mit Holcim“, rief Beate Zöld den Kundgebungsteilnehmern zu. Ziel des Konzerns sei eine Gewinnmaximierung zu Ungunsten der Bevölkerung. Dazu komme ein „Greenwashing durch die Marketingabteilung“. Die Politik schaue seit Jahren weg, während die Gefahren schön geredet würden. „Wann steht endlich einer unserer Politiker auf und bietet dem Konzern die Stirn“, so Zöld.
Kritik am Regierungspräsidium
Michael Schilling von Attac Tübingen kritisierte als Hauptredner das Regierungspräsidium. „Das RP lässt sich vor den Karren des Konzerns spannen“, führte er aus. Auf dem Plettenberg werde eine einzigartige Natur unwiederbringlich zerstört, die Grundwasserversorgung in Mitleidenschaft gezogen und die Gefahr von Überschwemmungen erhöht.
Bezogen auf die auf dem Plettenberg vorkommende artengeschützte Heidelerche führte er aus: „Man kann Vögel nicht einfach umsiedeln“. Man könne sie aber durch Abholzungen und Mähaktionen durchaus vertreiben. „Wo bleibt das RP?“, frage er.
Was der Konzern als Renaturierung verkaufen wolle, sei ein Bruchteil dessen, was versprochen worden ist. Was Schilling von der Tübinger Behörde hält, machte er unmissverständlich klar: „Ihr seid nicht die richtigen Leute für diesen Job.“
Alternativen für Zement
„Bisher kommen wir ohne die Produktion von Zement nicht aus“, stellte der Attac-Vertreter fest. Holcim verweigere sich aber, anders als andere Zementproduzenten, beispielsweise den neuesten Forschungen des Fraunhofer-Instituts, das Schlacke aus der Stahlproduktion als Zement-Ersatzstoff für einsetzbar hält, der Zusammenarbeit.
Bei der Produktion von einer Tonne Zement werde eine halbe Tonne CO2 freigesetzt, so Michael Schilling. In Dotternhausen werde versucht, die Menge an Kohlendioxid mit Ersatzbrennstoffen zu reduzieren. „Die Sache hat aber einen Haken: die Ersatzbrennstoffe selbst.“ Bei deren Verbrennung würden zum Teil hochgiftige Substanzen freigesetzt, die sich nach und nach im Boden anreicherten. Holcim in Dotternhausen weigere sich seit Jahren, die effektivsten Filtertechnologien zu nutzen. Seine Forderung an das RP: „Stoppt die Ausnahmegenehmigung für das Verbrennen von Giftmüll.“
Belastung durch Ultrafeinstaub
„Auch ich spreche an diesem Ort meinen Protest aus“, erklärte Hans-Ulrich Brändle von der Organisation Health for future, einem Zusammenschluss von Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten, Pflegefachkräften sowie Angehörigen anderer Gesundheitsberufe. Er verwies auf rund 63.000 Menschen, die jährlich in Deutschland an der Belastung durch Ultrafeinstaub sterben. „Unsere Generation wird die letzte sein, die die Klimakatastrophe noch abwenden kann“, sagte er.
Siegfried Gack von der der Organisation Zak hoch 3 ging näher auf den Weltkonzern Lafarge-Holcim ein. Ein weiterer Redner war Norbert Majer von dem lokalen Verein für Natur und Umwelt Zollernalb (NUZ). Er kündigte an, weiter Druck auf die Behörden ausüben zu wollen.
Holcim stellt Besucherparkplatz für die Kundgebung zur Verfügung
Interessant war die Melange der Besucher. Da trafen Dotternhausener Gemeinderäte, honorige konservative Bürgerinnen und Bürger aus den umliegenden Gemeinden und lokale Kräfte vom NUZ auf ältere und jüngere Aktivistinnen und Aktivisten aus dem linksalternativen, aber auch aus einem dezidiert linken Milieu. Was man letztlich von den Politikern hält, wurde angesichts der zahlreichen Zwischenrufe deutlich. „Pauli muss weg!“, tönte es beispielsweise in Bezug auf den Landrat aus einer Teilnehmergruppe.
Schließlich bedankte sich Beate Zöld bei den Kundgebungsteilnehmern für ihr Kommen – und beim Dotternhausener Holcim-Werksleiter Dieter Schillo dafür, dass die Kundgebung auf dem Besucherparkplatz des Unternehmens stattfinden konnte.
Autor: Daniel Seeburger
Quelle: zak