17.04.2024
Für Außenstehende schwer zu verstehen - warum?
1. Grenzwerte
Eines der Probleme liegt in der Angabe der Grenzwerte. In der 17. BISchV werden die Grenzwerte nicht in Jahrestonnen sondern sind in mg/m3 angegeben. Allerdings fehlen die Abluftmengenangaben in der
Verordnung.
Die Werte des LUBW in den Umweltberichten sowie die Werte der CO2-Zertifikate werden in Tonnen angegeben. In anderen Umweltberichten werden die Mengenangaben wieder
in kg angegeben (Verwirrung).
Daher wird das Vergleichen schwierig. Es lässt sich für "Laien" nicht so schnell ein direkter Vergleich ziehen. Das erschwert das Verstehen der
Problematik.
Sicherlich haben dadurch auch die Behörden und politisch Verantwortlichen sowie "Fridays for Future" damit Probleme, sonst würden manche Entscheidungen
sicherlich anders ausfallen.
2a. Warum ist diese Thematik gerade bei Zementwerken so schwer zu verstehen?
Zur Befeuerung der Drehöfen werden im Holcim-Zementwerk Dotternhausen bis zu 100 % Ersatzbrennstoffe (EBS) eingesetzt. EBS besteht aus einer Mixtur von
unterschiedlichem Müll wie Plastik, Sonderglasabfälle, Dachpappe, Autoreifen, Altöle u. a.
Zur Verbrennung wird Luft (Sauerstoff) in den Verbrennungsvorgang geblasen. Diese Luftströme schwanken gewaltig. Im Zementwerk Dotternhausen werden jede
Stunde zwischen 130.000 m3 bis zu genehmigten 300.000 m3 Luft durch den Drehofen bzw. den Kamin geblasen. Die Menge ist
abhängig von dem gerade für den Brennvorgang benötigten Sauerstoff.
Durch die Abluft aus dem Kamin werden die giftigen Emissionen in die Umwelt abgegeben. Der größte Teil der mit giftigen Emissionen angereicherten Abluft wird
auf Grund der Hauptwindrichtung vom Holcim- Zementwerk Dotternhausen Richtung Nord-Ost (Hauptwindrichtung) getragen. In dem Windrichtungskorridor liegen die Städte Balingen, Hechingen,
Reutlingen, Stuttgart.
Kommt der Wind aus Osten, sind Schömberg und Rottweil betroffen. Auch die Steilabhänge der Albberge spielen für die Luftströme eine große Rolle
(Spoilerwirkung).
2b. Im Gegensatz zu einer Öl-Befeuerung, kann der Brennprozess bei EBS nicht genau
kontrolliert werden
Aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzungen der EBS mit Müll kann keine kontrollierte Verbrennung durchgeführt werden wie z. B. bei
der Verbrennung mit Öl oder Kohle, da die Wärmewerte des Brennmaterials (Müll), aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung (z. B.: Gelbe Säcke) sehr stark schwanken. Die
Brennstoffzusammensetzung von EBS (Ersatzbrennstoffe) wechseln laufend.
Bei einer Ölheizung weiß man genau den Wärmewert des Öls sowie dessen Zusammensetzung. Aufgrund der Düsenbohrung erhält man die Menge des Öldurchsatzes in
einer bestimmten Zeit und weiß, wie viel Öl in einem bestimmten Zeitraum verbrannt und welche Luftzufuhr-Einstellung benötigt wird, um eine ideale Verbrennung zu erhalten. Bei den Überprüfungen
durch den Kaminfeger wird die Einhaltung der Emissionen überwacht. Sind die Werte der Heizanlage einmal richtig eingestellt, ändern sie sich praktisch nicht mehr.
Eine kontrollierte Verbrennung ist bei der Verwendung von EBS (Müll-Mixtur) in Zementwerken aus o. g. Gründen fast nicht
möglich.
Das dürfte mit ein Grund sein, warum das Holcim-Zementwerk die vorgeschriebenen gesetzlichen Werte nicht einhalten kann und daher Sondergenehmigungen
benötigt.
Eine Regulierung der Luftschadstoffe zur Klimaverbesserung und Verminderung der Luftschadstoffe lässt sich nur über die Abgasreinigungsanlagen (Filter,
Katalysatoren) am Kaminaustritt vornehmen. Die Abluft muss kontinuierlich mit geeichten Messgeräten überwacht werden.
3. Zusammenhang von Grenzwert und Emissionen in der Abluft
Der Grenzwert gibt die zugelassene maximale Schadstoffmenge eines bei einer Verbrennung entstehenden Giftstoffes an, der über das Kamin in die Umwelt ausgestoßen
werden darf.
Maßeinheit: mg/m3 oder ng/m3 oder µg/m3
Das absolute Gesamtgewicht der Giftstoffe entscheidet letztendlich über die Belastung und Schädigung von Mensch und Umwelt.
Bei Giftstoffen wie Quecksilber, Thallium, Benzol, Dioxine oder auch Feinstäube (Aerosole) sind schon Millionstel Gramm (Mikrogramm) gesundheitsgefährdend
(µg/m3).
Berechnung des Gesamtgewichts der Giftstoffe:
Absolutes Gewicht der Schadstoffmenge = Grenzwert (mg/m3; ng/m3; µg/m3) * Luftmengenstrom ( m3 )
(In den Immissionsschutzgesetzen werden die Grenzwerte z. B. für Stickoxide, Schwefeldioxide, Ammoniak oder Cges (auch TOC oder VOC genannt) u. a. in
mg je m3 an gegeben.)
4. Berechnungsbeispiele:
Stickoxide NO2 (Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid):
-
Gesetzlicher Grenzwert ab 01.01.2019: 200 mg/m3
-
Im Zementwerk Dotternhausen werden jede Stunde zwischen 130.000 m3 bis zu
genehmigten 300.000 m3 Luft (Luftmengenstrom) durch den Drehofen bzw. den Kamin geblasen.
Angenommener Luftmengenstrom für unser Beispiel z. B. 220.000 m3 / Stunde an 330 Arbeitstagen
Bei Einhaltung der Grenzwerte dürfen folgende Schadstoffmengen in die Umwelt geblasen werden:
In der Stunde: 220.000 m3 x 0,0002 kg/m3 = 44 kg
Je Tag: 220.000 m3 x 0,0002 kg/m3 x 24 = 1056 kg
Im Jahr: 220.000 m3 x 0,0002 kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage = 348.480 kg =
348,48 t
Die SCR-Filtertechnik (Katalysator am Kaminende) würde gegenüber der SNCR-Technik (Einblasen von Ammoniak in Brennkammer) eine um ca. 40-50% höhere
Reduzierung der Stickoxide erbringen.
Zum Vergleich:
Müllverbrennungsanlagen (MVA) schaffen sogar einen Schadstoffausstoß mit ca. 50-70 mg/m3
Im Jahr: 220.000 m3 x 0,00007 kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage = 121.968 kg = 121,968 t
MVA: 121,968 t -- Holcim: 348,48 t -- Was für ein
Unterschied!!!!!
Kohlenmonoxid (CO):
Statt wie in der Bundesimmissionsschutzverordnung vorgeschriebenen 50 mg Kohlenmonoxid pro Kubikmeter Luft wurde der Wert für Holcim auf 1800 mg pro
Kubikmeter im Tagesmittel festgelegt.
-
Gesetzlicher Grenzwert ab 01.01.2019: 50 mg/m3
-
Im Zementwerk Dotternhausen werden jede Stunde zwischen 130.000 m3 bis zu genehmigten 300.000 m3 Luft (Luftmengenstrom) durch den Drehofen bzw. den Kamin geblasen.
Angenommener Luftmengenstrom für unser Beispiel z. B. 220.000 m3 / Stunde an 330 Arbeitstagen
Bei Einhaltung der Grenzwerte dürfen folgende Schadstoffmengen in die Umwelt geblasen werden:
In der Stunde: 220.000 m3 x 0,00005 kg/m3 = 11 kg
Je Tag: 220.000 m3 x 0,00005 kg/m3 x 24 = 264 kg
Im Jahr: 220.000 m3 x 0,00005 kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage = 87.120 kg =
87,120 t
Durch die Sondergenehmigung wurde für Holcim der Grenzwert auf 1800 mg/m3festgelegt.
Ergebnis: Es sind viel höhere Emissionen erlaubt. Die in die Umwelt geblasenen Schadstoffmengen erhöhen sich um ein Vielfaches:
In der Stunde: 220.000 m3 x 0,0018 kg/m3 = 396 kg
Je Tag: 220.000 m3 x 0,0018 kg/m3 x 24 = 9504 kg = 9,504
t
Im Jahr: 220.000 m3 x 0,0018 kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage = 3.136,320 kg =
3136,32 t
Nach den Holcim-Angaben von 2019 wurde im Jahresmittel CO = 1000,77 mg/m3 gemessen.
Das bedeutet: Im Jahr fallen
220.000 m3 x 0,00100077
kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage =
1743.619,7 kg = 1743,6197 t CO an
Am 04.05.2020 wurde ein Spitzenwert von 2457 mg/m3 CO bei Holcim gemessen:
220.000 m3 x 0,002457
kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage =
4281.076,7 kg = 4281,0767 t CO an
Gesetzlich zulässig sind aber nur 87,120 t Kohlenmonoxid CO im Jahr
Ammoniak (NH3):
Für Ammoniak während der Direktbetriebszeit gelten für Holcim 60 mg pro Kubikmeter Luft als Tagesmittel aufgrund der Sondergenehmigung.
Die Verordnung sieht eigentlich nur die Hälfte, 30 mg, vor.
-
Gesetzlicher Grenzwert ab 01.01.2019: 30 mg/m3
-
Im Zementwerk Dotternhausen werden jede Stunde zwischen 130.000 m3 bis zu genehmigten 300.000 m3 Luft
(Luftmengenstrom) durch den Drehofen bzw. den Kamin geblasen.
Angenommener Luftmengenstrom für unser Beispiel z. B. 220.000 m3 / Stunde an 330 Arbeitstagen
Bei Einhaltung der Grenzwerte dürfen folgende Schadstoffmengen in die Umwelt geblasen werden:
In der Stunde: 220.000 m3 x 0,00003 kg/m3 = 6,6 kg
Je Tag: 220.000 m3 x 0,00003 kg/m3 x 24 = 158,4 kg
Im Jahr: 220.000 m3 x 0,00003 kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage = 52.272 kg =
52,272 t
Durch die Sondergenehmigung wurde für Holcim der Grenzwert im Direktbetrieb auf 80 mg/m3
festgelegt.
Ergebnis: Es sind zu bestimmten Zeiten viel höhere Emissionen erlaubt. Die in die Umwelt geblasenen Schadstoffmengen erhöhen sich um das Doppelte
bei Ammoniak.
In der Stunde: 220.000 m3 x 0,00008 kg/m3 = 17,6 kg
Je Tag: 220.000 m3 x 0,00008 kg/m3 x 24 = 422,4 kg = 0,4224
t
Im Jahr: 220.000 m3 x 0,00008 kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage = 139.392 kg =
139,392 t
Gesamtkohlenstoff (Cges):
Das Dotternhausener Werk darf 50 mg Gesamtkohlenstoff im Tagesmittel ausstoßen, hier sieht der Grenzwert nur 10 mg vor.
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Gesetzlicher Grenzwert ab 01.01.2019: 10 mg/m3
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Im Zementwerk Dotternhausen werden jede Stunde zwischen 130.000 m3 bis zu genehmigten
300.000 m3 Luft (Luftmengenstrom) durch den Drehofen bzw. den Kamin geblasen.
Angenommener Luftmengenstrom für unser Beispiel z. B. 220.000 m3 / Stunde an 330 Arbeitstagen
Bei Einhaltung der Grenzwerte dürfen folgende Schadstoffmengen in die Umwelt geblasen werden:
In der Stunde: 220.000 m3 x 0,00001 kg/m3 = 2,2 kg
Je Tag: 220.000 m3 x 0,00001 kg/m3 x 24 = 52,8 kg
Im Jahr: 220.000 m3 x 0,00001 kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage = 17.424 kg
= 17,424 t
Durch die Sondergenehmigung wurde für Holcim der Grenzwert auf 50 mg/m3 festgelegt.
Ergebnis: Es sind viel höhere Emissionen erlaubt. Die in die Umwelt geblasenen Schadstoffmengen erhöhen sich um ein
Vielfaches:
In der Stunde: 220000 m3 x 0,00005 kg/m3 = 11 kg
Je Tag: 220000 m3 x 0,00005 kg/m3 x 24 = 264 kg
Im Jahr: 220000 m3 x 0,00005 kg/m3 x 24 x 330 Betriebstage = 87.120 kg
= 87,120 t
5. Fazit: Die
Schadstoffmenge der Abluft aus dem Kamin (gemessen in Tonnen, Kilogramm) macht die Luftverschmutzung aus und nicht die Grenzwerte.
Wenn Holcim immer wieder verkündet, die Grenzwerte werden alle eingehalten und sogar weit unterschritten, bezieht sich das immer auf die vom
Regierungspräsidium genehmigten Grenzwerte der Sondergenehmigung. Je großzügiger die Ausnahmen gewährt werden, umso weniger besteht die Gefahr der Überschreitung durch Holcim. Die Behörden
ersparen sich so ein eingreifen. Umwelt und Gesundheit werden aber durch die Spitzenwerte belastet.
Die Sondergenehmigung für höhere Grenzwerte des Regierungspräsidium für das Holcim-Zementwerk-Dotternhausen zählt zu den großzügigsten in ganz
Deutschland und liegt weit über den gesetzlichen Grenzwerten, die ab 01.01.2019 gelten.
6. Abhilfe: Die Schadstoffe aus dem Zementwerk in Dotternhausen könnten schnell und einfach um 50-6o % durch SCR Filteranlagen, heute Stand der Technik,
von einer Stunde auf die andere reduziert werden. Es würde bedeuten, dass doppelt so viel Schadstoffe verhindert würden, als die ganze Industrie der Stadt Stuttgart heute
ausstößt.
Autor: Norbert Majer, 1.Vorsitzender NUZ e.V.